Infos zur Verschleppung Gulshan Al Bayati [Home]

 

Kritische Journalistin verschleppt und gefoltert

Tikrit: Angehörige und Kollegen fordern von »Sicherheitskräften« Freilassung von Gulshan Al Bayati
Von Karin Leukefeld

junge Welt, 13.10.2006 / Schwerpunkt / Seite 3
http://www.jungewelt.de/2006/10-13/047.php

Gulshan Al Bayati ist verschwunden im Irak. Seit 2003 arbeitet sie als freie Journalistin für die arabischsprachige Tageszeitung Al Hayat. Sie war bekannt für ihre kritischen Berichte über die Besatzungskräfte im Irak und – immer häufiger – das rücksichtslose Vorgehen irakischer »Sicherheitskräfte«. Am 11. September 2006 war Gulshan Al Bayati von irakischen Polizisten zum ersten Mal festgenommen worden. Als die Polizei das Haus ihrer Familie stürmte und sie festnahm, wurde sie direkt ins Gesicht geschlagen, ihr Computer wurde beschlagnahmt. Man wollte wissen, was sie mit der Familie von Saddam Hussein zu tun habe und ob sie »Terroristen« kenne. Sie antwortete, sie stamme aus Tikrit, kenne daher die Familie von Saddam Hussein seit langem und respektiere sie. Als Journalistin rede sie mit der irakischen Polizei ebenso, wie mit Leuten, die den Widerstand gegen die Besatzung unterstützten. Zwei Tage später war sie wieder frei, aus Mangel an Beweisen, wie es hieß. Die Polizei wies sie an, zu Hause zu bleiben und mit niemandem zu reden. Doch sie forderte ein Gespräch mit dem Oberkommandierenden der irakischen Streitkräfte in Tikrit, um sich bei ihm über ihre Behandlung zu beschweren und zu berichten, was sie während ihrer Haftzeit gesehen hatte.

Wenige Tage später, am 21. September, erhielt Gulshan Al Bayati einen Anruf aus dem Hauptquartier der irakischen Sicherheitskräfte in Tikrit, das in einem ehemaligen Palast Saddam Husseins untergebracht ist. Außer der Polizei sind dort die irakischen Streitkräfte, das Kommando der ersten Brigade der Streitkräfte und andere Polizei- und Sicherheitseinheiten untergebracht, die für Festnahmen und Verhöre zuständig sind. »Gulshan ist hineingegangen, doch sie kam nie wieder heraus«, so eine Freundin. Einer zuverlässigen Quelle zufolge soll sie vor einem »Koordinationskomitee« verhört worden sein. Dieses Komitee vertritt alle Sicherheitskräfte in Tikrit und entscheidet über Haft oder Freilassung eines Gefangenen. Gulshan Al Bayati sei grausam gefoltert worden, so die Quelle weiter, offenbar ein Mann, der sich schämte, darüber zu sprechen, was seine Kollegen einer Frau antaten. Sie habe gefordert, den Oberkommandierenden der Einrichtung darüber zu informieren, daß sie erneut inhaftiert worden sei. Ob das geschehen ist, weiß man nicht. Weder die Familie noch Freunde und Kollegen wissen, wo die Journalistin festgehalten wird.

Gulshan al-Bayati wurde 1971 in Tikrit geboren und beendete das Lehrerstudium an der Universität von Tikrit. Schreiben ist ihre Leidenschaft, sie verfaßte viele Kurzgeschichten, veröffentlichte zwei Bücher. Aktuell arbeitete sie an einem Roman über den besetzten Irak. »Gulshan hatte nichts anderes als ihren Stift, um sich der Besatzung zu widersetzen«, schreiben enge Freunde von ihr.

Einer dieser Freunde veröffentlichte aus Sorge um ihr Leben anonym einen Brief an sie, um ihr Mut zu machen, Gefangenschaft und Folter zu überstehen. Gulshan wollte unbedingt schreiben, erinnert er sich an ihre erste Begegnung. »Ich habe so viele Geschichten, Du kannst Dir nicht vorstellen, was alles bei uns passiert! Versprich mir, daß die Geschichten gedruckt werden.« Und sie wurden gedruckt. »Unerschrocken hast Du die Dinge beim Namen genannt«, schreibt der Freund in seinem Brief. »Du bist besser als wir, Du bist uns ein Beispiel.«

In einer Presseerklärung hat inzwischen auch das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) in New York, umgehende Aufklärung und die Freilassung von Gulshan Al Bayati gefordert. »Es ist ein Verbrechen, daß die irakischen Streitkräfte sich offenbar frei fühlen, eine Journalistin mehr als drei Wochen ohne Erklärungen einzusperren«, kritisierte der CPJ-Vorsitzende Joel Simon. Die verantwortlichen Behörden in Tikrit müssten Gulshan Al Bayati »umgehend freilassen und aufhören, sie zu schikanieren«.