Irak-Tribunal: Die Kriegsverbrechen müssen verfolgt werden

Internationales Hearing sammelte erste Beweise für eine Anklage gegen Bush und Blair, sowie Schröder und Fischer

Joachim Guilliard, Friedensjournal 04/2004 (erscheint im Juli 2004)

"Die Kriegsverbrechen müssen verfolgt werden" forderte am 19. Juni 2004 die deutsche Auftaktkonferenz für ein internationales Tribunal über den Angriffskrieg gegen den Irak in Berlin. Denn, "wer einfach zur Tagesordnung übergeht, kapituliert vor den nächsten Kriegen", heißt es in der Abschlusserklärung, der mit 200 Teilnehmern recht gut besuchten Veranstaltung in der Humboldt-Universität.

Im ersten Teil der Konferenz hatten die Völkerrechtler Prof. Norman Paech und Prof. Lennox Hinds – ständiger Vertreter der Internationalen Vereinigung Demokratischer Juristen (IADL) bei der UNO – eindrücklich nachgewiesen, dass der Überfall auf den Irak ein klarer Verstoß gegen verbindliches internationales Recht darstellt. George W. Bush, Tony Blair und die anderen politischen und militärischen Verantwortlichen haben sich nach ihrer Überzeugung daher des schwersten der internationalen Verbrechen schuldig gemacht, der Entfesselung eines Angriffskrieges. In dem die deutsche Regierung diese Aggression u.a. dadurch unterstützte, dass sie dem US-Militär dafür Territorium und Luftraum zur Verfügung stellte, machte sie sich, so Prof. Gregor Schirmer, zweifelsfrei, sowohl nach bundesdeutschem, wie internationalem Recht an diesem Verbrechen mitschuldig.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Experten bei Anhörungen in anderen Ländern, wie Prof. Bill Browning aus England, Prof. Michail Kusnezow aus Moskau und der bekannte Priester und Soziologe Prof. Francois Houtart aus Belgien berichteten.

Auch Beweise über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden dort bereits erhoben, womit in Berlin am Nachmittag begonnen wurde. Rainer Rupp präsentierte Dokumente, in denen das Justiz- und das Verteidigungsministerium der USA der Anwendung bestimmter Foltermethoden einen legalen Anstrich zu geben versuchen. Für den renommierten Militär- und NATO-Experten sind dies weitere Beweise dafür, dass die Anwendung von Folter auf höchster Ebene angeordnet worden war.

Der Marburger Altertumsforscher und langjährige Kenner des Iraks, Prof. Walter Sommerfeld, zeigte Dias, die er unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Baath-Regimes aufgenommen hatte. Sie zeigten die Folgen der Plünderungen und Brandschatzungen, die von den US-Truppen nicht verhindert, oft sogar gefördert worden waren. Einige Bilder dokumentierten zudem den großflächigen Einsatz von Streubomben in einem Wohngebiet in Bagdad.

Haifa Sangana, die irakische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, schilderte die drastische und systematisch Verschlechterung der Lage der Frauen im Irak seit Beginn der US-Besatzung. Von allen Bevölkerungsgruppen seien die Frauen, die zuvor mehr oder weniger gleichberechtigt waren, am schlimmsten betroffen. Haifa Sangana, die selbst lange Jahre unter dem Regime von Saddam Hussein im berüchtigten Gefängnis für Regimegegner Abu Ghraib eingesperrt worden war, forderte den unverzüglichen Abzug der Besatzungstruppen: "Wir haben nicht 30 Jahre gekämpft, nur um am Ende einen Folterer gegen einen anderen Folterer auszutauschen."

Mitreisend war die Anklage des engagierten belgischen Notarztes Dr. Geert van Moorter, der seit Jahren im Auftrag der Organisation »Medizinische Hilfe für die Dritte Welt« in den Irak reist, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Hilfe ist weiterhin dringend nötig, da das Gesundheitssystem im Irak immer noch völlig am Boden liegt. Er war auf seinen Reisen unmittelbar Zeuge von Kriegsverbrechen geworden. So konnte er im März 2003 den Einsatz von Splitterbomben beobachten und wie US-Truppen Zivilpersonen, Zivilfahrzeuge und auch Krankenwagen aufs Geratewohl unter Beschuss nahmen.

Ein großer Teil der Beiträge liegt bereits digital vor und kann auf der Internetseite nachgelesen werden.

Beeindruckend war die breite internationale Beteiligung an der Konferenz. Von Russland, der Ukraine und anderen slawischen Länder, über Japan, Indien und der Türkei, Frankreich, Belgien, und England bis Mexiko und den USA waren Vertreter gekommen, die in einer der Projektgruppen ihre Erfahrungen austauschten und die weiteren Schritte diskutierten. In einem weiteren Treffen am Sonntag mit Vertretern von IADL und anderen Organisationen verständigte man sich auf die Ausarbeitung einer Anklageschrift und fasste als Ort für ein abschießendes Tribunal London ins Auge.

Auch in Deutschland sind im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit weitere Hearings geplant, das nächste Anfang November in Frankfurt. Im nächsten Juni könnten sie schließlich in ein Tribunal in Berlin münden. Ein Tribunal in Deutschland hätte über die Frage einer Mittäterschaft oder Mitverantwortung von Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer, Verteidigungsminister Struck und anderer Regierungsmitglieder zu urteilen. Trotz der Konzentration auf die Verantwortlichen im eigenen Land, würde es dennoch dabei um die Gesamtheit, der den USA und ihren Verbündeten zur Last gelegten Verbrechen im Irak gehen. Um zu einem Urteil über Mittäterschaft zu gelangen, muss selbstverständlich zunächst darüber geurteilt werden, ob es sich bei den Taten, die die deutsche Regierung unterstützt hat und auch weiter unterstützt, um Verbrechen handelt.

In den Projektgruppen wurde die Frage nach der Notwendigkeit eines Tribunals gestellt, wo doch die Medien beispielsweise breit über die systematische Anwendung der Folter berichten. Doch sind dies nur die Spitzen eines Eisberges und die Medien behandeln sie als Entgleisungen, die korrigiert werden müssen – das wahre Ausmaß der Verbrechen des Besatzungsmacht bleibt im Dunkel. Hier kann ein Tribunal einen wichtigen Beitrag leisten.

Ein Bericht des US-amerikanischen "Center for Economic and Social Rights" CESR mit dem Titel "Jenseits der Folter – Verstöße der USA gegen das Besatzungsrecht", der auf der Projektgruppe III vorgestellt wurde, behandelt zehn Kategorien von Verletzungen des humanitären Völkerrechts, verbindlicher Konventionen und der allgemeinen Menschenrechte. Darunter die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts und des Schutzes des Rechts auf Leben und Gesundheit, die ungenügende Bereitstellung lebensnotwendiger Dienste, Nahrung und Bildung, die Angriffe auf die Zivilbevölkerung, die Anwendung von Kollektivstrafen, die willkürlichen Festnahmen, Demütigungen und Folter. Auch die grundlegenden Änderungen der ökonomischen Struktur des Landes hin zu einer völlig liberalisierten Marktwirtschaft verstoßen gegen internationales Recht. Ihre Folgen sind der Ruin der einheimischen Firmen und extreme Arbeitslosigkeit.

Wie die jüngste Resolution des UN-Sicherheitsrats erneut zeigte, unterstützen auch Deutschland und Frankreich die Bestrebungen, die Illegalität und das Verbrecherische der Besatzung unter dem Mantel der UNO zu verbergen. Nur so kann die fortgesetzte Herrschaft der USA über das Land als alternativloser Weg zur Stabilisierung und "Demokratisierung" des Iraks legitimiert und deren Unterstützung gerechtfertigt werden.

Die anwesenden Experten waren sich einig, dass durch die vom Sicherheitsrat beschlossenen Maßnahmen sich an den grundlegenden Bedingungen der Besatzungsherrschaft nichts ändern wird: "Damit dem Unrecht nicht immer neues Unrecht hinzugefügt wird", so schließt daher die Abschlusserklärung, "fordern wir das sofortige Ende der Besatzung und den sofortigen Rückzug der Invasoren."

Programm, Beiträge, Hintergründe im Internet: www.iraktribunal.de

Vom Autor erschien im Januar bei PapyRossa: Göbel/Guilliard/Schiffmann (Hg.): Der Irak – Krieg, Besetzung, Widerstand