Irak
»Den Verschleierungen entgegentreten«
Interview mit Kilian Stein, Internationale Liga für Menschenrechte, über das Irak-Tribunal 

Neues Deutschland vom 19.06.04

ND: Was ist das Ziel des Internationalen Tribunals der Völker?
Stein: Wichtigstes Ziel des Tribunals ist die Aufklärung über die Vorgeschichte und die wirklichen Motive sowie den Ablauf des Krieges. Wir wollen den unglaublichen Verschleierungen und Verharmlosungen entgegentreten und eine Gegenöffentlichkeit herstellen, die die Möglichkeit schafft, sich ein reales Bild von diesem Krieg zu machen. Dazu werden auf den nationalen Anhörungen gerichtsverwertbare Beweise dokumentiert. So wird eine Grundlage für eine öffentliche Anklage gegen die Hauptverantwortlichen für diesen Krieg und für die in ihm begangenen Kriegsverbrechen, wie die Verletzung des Folterverbots, geschaffen.

Wie ist die Erfahrung mit solchen Tribunalen?
Das Russell-Tribunal zu Zeiten des Vietnamkrieges zum Beispiel hatte erhebliche Auswirkungen. Es hat sicherlich zum Rückzug der USA aus Vietnam beigetragen. Was wir erreichen, können wir nicht wissen. In jedem Fall werden wir bewirken, dass viele Leute besser informiert sein werden als zuvor.

Wie sind die völkerrechtlichen Möglichkeiten des Tribunals?
Die Form des symbolischen Tribunals ist von den Friedensbewegungen selbst geschaffen worden. Die Tribunalform unterscheidet sich von anderen Veranstaltungen zur Aufklärung dadurch, dass sie auch auf die persönliche Verantwortung von Politikern und anderen Personen abstellt. Damit steht das Tribunal in der Tradition der Nürnberger Prozesse.

Können neben den moralischen und symbolischen Verurteilungen strafrechtliche Konsequenzen entstehen?
Dass die Arbeit des Tribunals nationale Gerichte oder den Internationalen Strafgerichtshof veranlassen könnte, da bin ich skeptisch. An sich gibt es juristische Möglichkeiten. Zum Beispiel das Verbot des Angriffskrieges, das im Grundgesetz festgeschrieben ist. Auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag könnte im Prinzip tätig werden, selbst wenn er von den USA nicht anerkannt und systematisch unterlaufen wird. Aber das zu erwarten, wäre doch ein wenig blauäugig. Soweit geht der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz auch in einem Rechtsstaat nicht, dass Politiker vor Gericht gestellt werden, die mit ihrer Politik gegen das Völkerrecht verstoßen. Schon gar nicht, wenn sie unter Bruch des Völkerrechts Kriege führen. So etwas hat es bisher nur nach politischen Zusammenbrüchen gegeben.

Wie werden die Ergebnisse der nationalen Anhörungen abschließend für das Internationale Tribunal zusammengebracht?
Es gibt Anhörungen und andere Veranstaltungen, die in den verschiedenen Ländern Europas und auch außerhalb Europas stattfinden werden. In Brüssel und in den USA hat es bereits Hearings gegeben. Immer in Vorbereitung auf das Internationale Tribunal, das voraussichtlich 2005 in London oder Madrid stattfinden wird.

Und wie gehen die Vorbereitungen in Deutschland weiter?
Zunächst gibt es die erste Anhörung am 19.Juni in Berlin. Es wird wahrscheinlich noch zwei weitere in anderen deutschen Städten geben. Diese nationalen Hearings sind in ihrer Gesamtheit vielleicht sogar wichtiger, als das abschließende Tribunal.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Bundesrepublik im Irak-Krieg?
Es war sicherlich nicht so, dass die Bundesregierung unbeteiligt war, wie stets behauptet. Jetzt ist sie aber dabei, den Staat noch mehr in diesen Krieg zu verwickeln. Zum Beispiel hat Schröder zugesagt, dass die Bundeswehr sich an der Ausbildung von Polizei und Armee der Marionettenregierung beteiligt. Ganz gewiss werden dann auch Waffen geschickt. Damit würde die Bundesregierung das Besatzungsregime in Irak aktiv unterstützen. Somit ist sie mitverantwortlich für den Bürgerkrieg, der sich in Irak zu entwickeln droht.

Fragen: Olga Burkert


Irak-Hearing in Berlin, 19.Juni, 9 bis 18 Uhr, Humboldt-Uni (Audimax), Unter den Linden 6, www.iraktribunal.de

(ND 19.06.04)