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Beitrag auf der Pressekonferenz am 15. Juni 2004 in Berlin
zur jüngsten Resolution des UN-Sicherheitsrates zum Irak

KILIAN STEIN, Jurist, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, hielt auf der Pressekonferenz in Vorbereitung des Berliner Hearings folgenden Redebeitrag:

Ich beschränke mich auf Anmerkungen zur jüngsten Resolution des Weltsicherheitsrats zum Irak. Es versteht sich, dass sich das Internationale Tribunal der Völker mit der Resolution 1546 kritisch auseinandersetzen muss. Sie liefert der in den Medien fast durchgehenden Verteidigung des Okkupationsregimes, der Ausfüllung des Machtvakuums, wie sich Außenminister Fischer ausdrückt, eine Legitimation. Und sie berührt die juristischen Voraussetzungen unseres Tribunals.

Kern der Resolution ist die Anerkennung der von den Vereinigten Staaten eingesetzten Regierung als souveräne Übergangsregierung des Irak. Einer Regierung a la Diem oder Ky in Südvietnam oder Petain in Frankreich verleiht der Sicherheitsrat das Prädikat souverän.

Konsequent erklärt und unterstellt die Resolution, dass mit der Machtübertragung an die Übergangsregierung am 30. Juni das Besatzungsregime ende und der Irak seine volle Souveränität wiedererlange.

An sich durchaus im Geist eines demokratischen Verständnisses schränkt der Sicherheitsrat die Souveränität der Übergangsregierung ein. Ihr wird untersagt, Schritte zu ergreifen, die das Schicksal des Irak über die begrenzte Übergangszeit hinaus berühren. Die strategischen sozialökonomischen Entscheidungen der US-Verwaltung, die den Übergang des Irak in eine kapitalistische Marktwirtschaft zum Inhalt haben, wohl besser gesagt in eine Sonderwirtschaftszone, werden aber nicht erwähnt, obwohl sie einen eklatanten Bruch der Haager Landkriegsordnung darstellen.

Aus der schlicht unterstellten nationalen Souveränität des Irak zieht der Sicherheitsrat rigoros politische und juristische Schlussfolgerungen.

Er stellt erstens fest, dass die multinationalen Streitkräfte auf Wunsch der souveränen irakischen Übergangsregierung im Land seien. Der Sicherheitsrat nutzt also eine von ihm vorgespiegelte Souveränität der Übergangsregierung, um diese im Handumdrehen umzumünzen in die Legalisierung und Legitimierung eines Besatzungsregimes, das durch eine Verletzung des Aggressionsverbotes der Charta der Vereinigten Nationen zustande gekommen ist. Erinnert die Berufung auf den Willen der Übergangsregierung nicht an die Einladung der Regierung der CSSR an die sowjetische Regierung im Jahr 1968 ? Nur, den Segen des Sicherheitsrates hat die Sowjetunion damals nicht erhalten. Den haben auch die Vereinigten Staaten nicht erhalten, als sie unter dem gleichen Vorwand 1983 auf Grenada gelandet sind, um eine ihnen nicht genehme soziale Entwicklung abzubrechen. Heute gibt sich der Sicherheitsrat für dergleichen her.

Zweitens beschließt der Sicherheitsrat, dass die multinationale Truppe befugt ist, alles zu tun, was für Herstellung der Sicherheit und Stabilität des Irak nötig sei. Das hat eine Konsequenz, die in der Resolution nicht ausdrücklich genannt wird, sich aber zwingend aus ihr ergibt: Der Sicherheitsrat hat mit dieser Ermächtigung der Okkupanten faktisch die Gegenwehr für völker- und staatsrechtlich illegal erklärt. Er setzt sich damit in Widerspruch zu Resolutionen der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in denen das Recht zum bewaffneten Kampf gegen koloniale und fremde Herrschaft anerkannt und den Guerilla-Kämpfern der Kombattanten- und Kriegsgefangenenstatus zugesprochen wurde. Dieser wird ihnen weiterhin, jetzt aber mit Zustimmung der UNO, verweigert werden. Die Resolution begünstigt auch noch in anderer Hinsicht die Entgrenzung von Gewalt. Die Vorschläge Brasiliens, Chiles und Spaniens, spezifische völkerrechtliche Verpflichtungen der Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Kriegsgefangenen in den Beschlussteil der Resolution aufzunehmen wurden von den USA und Großbrittanien blockiert. Amnesty International hat das bereits kritisiert. Es versteht sich fast schon von selbst, dass der Sicherheitsrat die Gräuel im Gefängnis Abu - Ghraib nicht erwähnt, und es auch nicht für nötig gehalten hält, die weiter angewandte, durch Dienstvorschriften geregelte und selbstverständlich von Bush gebilligte Folterpraxis im Irak zu benennen, zu kritisieren und ihr Ende zu fordern. Diese wäre aber umso nötiger gewesen, als es in den USA immer mehr Stimmen gibt, die das sogenannte humanitäre Kriegsrecht und das absolute Verbot der Folter als überholt ansehen.

Ein Drittes noch. Die Resolution legitimiert die im Gang befindliche Aufstellung von Sicherheitskräften und unterstellt sie der Marionettenregierung und damit letztlich den Okkupanten selbst. Die Funktion dieser Sicherheitskräfte scheint mir klar. Sie sollen den Krieg der USA und ihrer Verbündeten, soweit das realisierbar ist, in einen Bürgerkrieg verwandeln, so wie seinerzeit die Regierungsstreitkräfte in Südvietnam, mit all den fürchterlichen Folgen für den angeblich doch befreiten Irak. Das ist ab jetzt von der UNO sanktioniert.

Wie Bundskanzler Schröder erklärt hat, wird sich die Bundesrepublik in Form von Hilfe zur Ausbildung, sicher auch durch Lieferung von Waffen, an dem Aufbau dieser Bürgerkriegsarmee beteiligen. Das ist auch ein Ausdruck für die „Neue Stärke", die die Regierung als einen Fortschritt reklamiert.

Um zum Schluss zu kommen. Die von Kofi Annan als „fair und gerecht" bezeichnete Resolution 1546 ist für mich der Tiefpunkt in der Geschichte der Vereinten Nationen. So viel Unwahrheit war in der UNO wohl noch nie, und wohl auch noch nie hat der Sicherheitsrat aus Lügen so bedenkenlos machtpolitische und juristische Schlussfolgerungen gezogen. Einen ernsthaften Widerstand dagegen hat es in der UNO nicht gegeben, wenn ich das richtig sehe. Jedenfalls haben alle Staaten der EU und die Kommission in Brüssel die Resolution begrüßt.

Ich weiß nicht, was ich angesichts dessen zu der Wahlkampfparole „Europa an der Seite der UNO, nicht im Schatten der USA" sagen soll. Unser Tribunal jedenfalls wird, wenn ich das richtig einschätze, diese Resolution nicht als Richtschnur anerkennen.