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Abschlußerklärung des Berliner Hearings am 19.6.2004

Irak-Tribunal: Die Kriegsverbrechen müssen verfolgt werden

"Wer einfach zur Tagesordnung übergeht, kapituliert vor den nächsten Kriegen"

Die deutsche Auftaktkonferenz für ein internationales Tribunal über den Krieg der USA, Großbritanniens und anderer Verbündeten gegen den Irak am 19. Juni 2004 in Berlin hat ergeben: Eine weitere Untersuchung und Verfolgung der auf der Anhörung vorgebrachten Anschuldigungen schwerer Verstöße gegen internationales Recht im Krieg und bei der nachfolgenden, faktisch noch andauernden Besatzung ist dringend notwendig.

Nach der Anhörung von internationalen Augenzeugen aus dem Irak, von Sachverständigen und von Völkerrechtsexperten sind wir, die Veranstalter, davon überzeugt: US-Präsident George W. Bush, der britische Premierminister Tony Blair, führende beteiligte Militärs und andere politisch und militärisch Verantwortliche müssen für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschheit und schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht zur Verantwortung gezogen werden.
Gleiches gilt hinsichtlich der Ausübung der Besatzungsherrschaft, bei der fortgesetzt gegen die Genfer Konvention verstoßen wird: u.a. durch die unzureichende Versorgung und fehlende Sicherheit für die Bevölkerung, die willkürliche Anwendung von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, die unrechtmäßige Festnahme von Zivilisten, Misshandlungen und Folter, die wirtschaftliche Ausplünderung, ökologische Zerstörung und soziale Verwüstung des Landes.

Die Invasion des Iraks war der Endpunkt eines langen Krieges, der durch Belagerung und Bombenangriffe aus der Luft die Lebensgrundlagen von 22 Millionen Menschen bereits zuvor systematisch geschädigt hatte. Das mörderische Sanktionsregime, das für den Tod von mehr als eineinhalb Millionen Menschen verantwortlich gemacht wird, wirft gemäß UN-Menschenrechtskommission sogar „Fragen in bezug auf die Völkermordkonvention" auf.

Nicht zuletzt sehen wir unsere Aufgabe auch darin, die Unterstützung der deutschen Regierung für den Irak-Krieg (u.a. durch die Bereitstellung seines Territoriums) zu untersuchen, die in der Anhörung als Verstoß gegen Grundgesetz und Völkerrecht bewertet wurde.

Die US-Regierung entzieht sich systematisch strafrechtlicher Verantwortung, u.a. durch ihre Obstruktionspolitik gegen den Internationalen Strafgerichtshof.

Da es keine offiziellen Institutionen gibt, die diese Verbrechen verfolgen, müssen Tribunale von unten organisiert werden – in vielen Länder wurde damit bereits begonnen.

Es wurde vereinbart, als Ergebnis vorbereitender Anhörungen zu den genannten Punkten in internationaler Zusammenarbeit eine Anklageschrift zu erarbeiten und die Beweise zu erheben. Die Tribunalbewegung, getragen von den weltweiten Friedens-, Menschenrechts- und globalisierungskritischen Bewegungen und mit dem moralischen Rückhalt der vielen Millionen, die sich letztes Jahr aktiv gegen den Irakkrieg engagierten, stützt sich dabei strikt auf geltendes Recht, u.a.: die Charta der Vereinten Nationen, die Charta des Internationalen Nürnberger Militärtribunals, die Resolution 3314 (1974) der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Genfer Konvention von 1949 und ihre Protokolle von 1977 und andere völkerrechtliche und nationale Vorschriften.

In Deutschland wird der Tribunalprozess fortgeführt, der in einem internationalen Tribunal münden soll. Wir unterstützen zudem alle nationalen und internationalen Initiativen, Anhörungen und Tribunale über diesen Krieg, um gemeinsam die Wahrheit über den Irak-Krieg zu enthüllen, seine Vorgeschichte, seinen Verlauf und seine z.T. sehr langfristigen Folgen. Wir sehen dies als wichtigen Beitrag dafür, allen Bestrebungen, entgegen allen Prinzipien des Völkerrechts und der UNO-Charta Krieg wieder als gängiges Mittel der Politik zu etablieren, entgegenzutreten und dem internationalen Recht wieder stärkeres Gewicht zu verschaffen.

Wir teilen die von den Experten vorgetragene Ansicht: Die neue Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrats heilt die genannten Verstöße nicht. Die am 8. Juni 2004, auch mit der Stimme des deutschen Vertreters, vom UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution 1546 schweigt zu den von den Invasoren begangenen Völkerrechtsverletzungen und billigt ihnen weiterhin die volle Kontrolle über das eroberte Land zu. Angesichts des Verbleibs der Besatzungstruppen unter US-Kommando ist die von der Besatzungsmacht eingesetzte Regierung keineswegs souverän und der irakischen Bevölkerung bleibt ihr Recht auf Selbstbestimmung verwehrt –die Besatzung dauert an.

Damit dem Unrecht nicht immer neues Unrecht hinzugefügt wird, fordern wir das sofortige Ende der Besatzung und den sofortigen Rückzug der Invasoren.

Berlin, 19.6.2004