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Gregor Schirmer                                                                    

 

Deutschland, der Irak-Krieg und das Völkerrecht

Beitrag auf dem Irak-Hearing in Berlin zur Vorbereitung eines Internationalen Tribunals der Völker, 19. Juni 2004

 

In meiner Stellungnahme[1] zur völker- und verfassungsrechtlichen Bewertung des Verhaltens der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf den Krieg der USA, Großbritanniens und weiterer verbündeter Staaten gegen den Irak, vor während und nach dem Krieg, gehe ich von folgender, kurz zusammengefasster Rechtserkenntnis aus:

 

Dieser Krieg war eine schwerwiegende Verletzung des Verbots der Anwendung und Androhung  militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen, jener Grundnorm des Friedensvölkerrechts, die in Art. 2 Ziffer 4 der Charta der Vereinten Nationen als kategorischer Imperativ, als ius cogens, also als zwingendes Recht statuiert ist und das Aggressionsverbot einschließt. Mit diesem Krieg wurden weitere Prinzipien des Völkerrechts verletzt, vor allem das der souveränen Gleichheit und das der Beilegung internationaler Streitigkeiten durch friedliche Mittel. Der Krieg war eine völkerrechtswidrige Aggression im Sinne der Aggressionsdefinition der Vereinten Nationen von 1974[2] ,  ein „Bruch des Friedens“ und eine „Angriffshandlung“ nach Art. 1 Ziffer 1 und Art. 39 der Charta, ein „bewaffneter Angriff gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ nach Art. 51. Der Krieg war weder vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatiert oder sonst wie von ihm gebilligt, noch war er ein Akt der Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta. Er war ein „Verbrechen gegen den Frieden“ im Sinne der Prinzipien-Deklaration der Vereinten Nationen von 1970[3]. und ein „Verbrechen der Aggression“ nach Art. 5 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. 7. 1998[4], über das der Gerichtshof allerdings vorläufig keine Gerichtsbarkeit ausüben kann. Die Besetzung des Irak im Gefolge der Aggression ist völkerrechtswidrig. Sie konnte auch durch die nachfolgenden Resolutionen des Sicherheitsrats keine Rechtfertigung finden. Die USA und ihre Verbündeten tragen für die Aggression und ihre Folgen die volle völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Sie sind verpflichtet, die Schäden wieder gut zumachen, die sie dem Irak zugefügt haben. Nach Art. 40 der „Draft articles on the Responsibility of States for internationally wrongful acts“[5] war der Krieg ein schwerwiegender Bruch von Verpflichtungen aus einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts.[6]

 

Die Formulierung dieses Ausgangspunktes ist deshalb so wichtig, weil daraus hervorgeht, dass die Bewertung des Verhaltens Deutschlands nicht zu irgendeinem Krieg sondern zu einem völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg zur Debatte steht.       

 

Deutschland hat diesen Krieg abgelehnt und sich nicht mit der Bundeswehr an ihm beteiligt. Die Bundesregierung will nach wie vor keine deutschen Streitkräfte in den Irak entsenden, auch nicht im Rahmen der NATO und im Auftrag des Sicherheitsrats.  Diese Haltung war und ist aus völkerrechtlicher Sicht zu begrüßen. Deutschland hat als zeitweiliges Mitglied des Sicherheitsrats zusammen mit den Veto-Mächten China, Frankreich und Russland, sowie anderen Mitgliedern dazu beigetragen, dass eine zum Krieg ermächtigende Resolution des Sicherheitsrats verhindert wurde. Die Annahme, dass es sich dabei bloß um ein wahltaktisches Manöver der rot-grünen Bundesregierung handelte, hat sich nicht bestätigt. Hinter der Haltung Schröders und Fischers steckten offenbar weiter gehende Interessen, vor allem die Absicht, im Verbund mit Frankreich die Gelegenheit zur Demonstration einer von den USA weniger abhängigen Politik zu nutzen. Die deutsche Entscheidung gegen den Krieg wurde sicherlich dadurch erleichtert, dass die angeführten Kriegsgründe von der Weltmeinung als allzu durchsichtig-verlogen erkannt und die Militäraktionen von den Völkern vieler Länder, darunter den Deutschen, mehrheitlich und vehement abgelehnt wurden.

 

Als prinzipielle Absage an den Krieg als Mittel der Politik, wie sie der Verpflichtung der BRD aus dem Kellogg-Pakt über die Ächtung des Krieges vom 27. 8. 1928[7] entspricht, kann die Haltung der BRD zum Irak-Krieg nicht gewertet werden. Auch eine strikte Absage der BRD an jegliche Anwendung militärischer Gewalt, die der Charta der Vereinten Nationen widerspricht, kann daraus nicht abgeleitet werden. Dagegen spricht die Tatsache, dass sich die BRD mit ihren Streitkräften an den Aggressionskriegen gegen Jugoslawien und gegen Afghanistan beteiligt hat. Grundsätzliche völkerrechtliche Bedenken gegen das Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten waren nicht im Spiel.

 

Die Bundesregierung hat peinlichst vermieden, den Krieg gegen den Irak als völkerrechtswidrig zu bezeichnen, obgleich der Völkerrechtsbruch offensichtlich ist. Die Beweggründe für diese Zurückhaltung liegen darin, dass eine eindeutige Verurteilung der Militäraktion als Aggressionskrieg zu verfassungs- und völkerrechtlichen Konsequenzen hätte führen müssen, die die Bundesregierung vermeiden wollte.

 

Die Bundesregierung hat den USA Rechte zur Nutzung  von Flugplätzen und Liegenschaften von Kommando-Einheiten in Deutschland sowie zum Überflug deutschen Territoriums zur Vorbereitung und Durchführung des Krieges und zur Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes gewährt. Damit hat sie den Krieg unterstützt und dem Aggressor Hilfe geleistet. Obwohl die Gefahr der Einbeziehung in den Krieg bestand, hat sie deutsche Spürpanzer aus Kuwait und deutsches Personal aus in der Türkei stationierten, der NATO zugehörigen Awacs-Flugzeugen nicht zurückgezogen. Die Regierung hat sich auf Bündnisverpflichtungen berufen, die keine andere Wahl zulassen würden.

 

Das zwiespältige Verhalten der Bundsrepublik Deutschland ist nach meiner Meinung aus völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht unter drei Gesichtspunkten folgendermaßen zu beurteilen:

 

 

 

Erstens unter dem Gesichtspunkt der Souveränität.

 

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. 9. 1990[8] (2+4-Vertrag) ist die um das Territorium der DDR erweiterte Bundesrepublik Deutschland ein souveräner Staat auch im Verhältnis zu den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs. Nach Art. 7 hat nach Beendigung der Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte „das vereinte Deutschland ... volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“. In der Prinzipiendeklaration von 1970 heißt es “Jeder Staat genießt die der vollen Souveränität innewohnenden Rechte.“ Zu diesen Rechten  gehört auf jeden Fall, dass die zuständigen Organe der Bundesrepublik und nur sie über Bedingungen und Regeln des Aufenthalts von Streitkräften anderer Staaten auf deutschem Territorium zu bestimmen und über den Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland zu entscheiden haben. Dabei muss Deutschland Verpflichtungen aus dem allgemeinen Völkerrecht und aus abgeschlossenen Verträgen beachten. Und selbstverständlich muss bei der Wahrnehmung der Souveränität das Grundgesetz eingehalten werden.

 

Die volle Souveränität Deutschlands schließt die vollständige Territorialhoheit in den Territorialgewässern, auf dem Landgebiet und über dem Luftraum ein. Deutschland ist Kraft seiner Territorialhoheit berechtigt, völkerrechtswidrige Handlungen anderer Staaten auf seinem Territorium und von seinem Territorium aus zu verhindern.     

 

In der Völkerrechtswissenschaft herrscht wohl Übereinstimmung, dass die Lufthoheit einschließt,  „dass jede Benutzung des Luftraumes durch andere Staaten grundsätzlich von der Zustimmung des Bodenstaates abhängig ist“[9]. In Art. 3 des Abkommens vom 7. 12. 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt[10] wird festgestellt, dass kein Militärluftfahrzeug eines Vertragspartners „das Gebiet eines anderen Staates überfliegen oder dort landen [darf], ohne die Erlaubnis, die es durch eine besondere Vereinbarung oder auf andere Weise erhalten hat, und nur nach Maßgabe der darin festgelegten Bedingungen“.

 

 

Zweitens unter dem Gesichtspunkt des völker- und verfassungsrechtlichen Aggressionsverbots.

 

Kein Staat ist gehalten, einen anderen Staat bei der Vorbereitung und Durchführung einer völkerrechtswidrigen Aggression direkt oder indirekt zu unterstützen, weil er gegenüber dem Aggressor Bündnisverpflichtungen hat. Solche Verpflichtungen wären – wenn sie denn überhaupt bestünden – hinfällig. Art. 103 der Charta der Vereinten Nationen bestimmt, dass im Falle des Widerspruchs zwischen Verpflichtungen aus der Charta und Verpflichtungen aus anderen internationalen Übereinkünften  die Charta-Verpflichtungen Vorrang haben. Die Friedens-Pflichten Deutschlands aus der Charta stehen höher als irgendwelche NATO-Verpflichtungen. Bündnisverträge, die eine Verpflichtung zur Unterstützung eines Partners bei einer völkerrechtswidrigen Aggression gegen einen Drittstaat vorsehen würden, wären nach Art. 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. 5. 1969[11] nichtig, weil sie einer ius-cogens-Norm widersprächen. Das Gewaltverbot ist eine solche Norm, die durch keine anderweitige Abrede abbedungen werden kann.

 

Ein Staat, der einen anderen Staat bei einer völkerrechtswidrigen Aggression unterstützt, begeht selbst einen Völkerrechtsbruch. Nach Art. 16 der Draft Articles[12] ist ein Staat, der einem anderen Staat bei der Begehung eines Völkerrechtsbruchs Hilfe oder Unterstützung gewährt, selbst international verantwortlich für sein Verhalten. Nach Art. 41 der Draft Articels sollen die Staaten zusammenarbeiten, um jeglichen schweren Völkerrechtsbruch durch friedliche Mittel zu beenden. Kein Staat darf eine Situation als legal anerkennen, die durch einen schweren Völkerrechtsbruch hervorgerufen wurde oder bei der Aufrechterhaltung dieser Situation Hilfe oder Beistand leisten. Die Bundesregierung hat nur inkonsequente Versuche unternommen, die Aggression zu beenden. Sie hat durch das Zur-Verfügung-Stellen deutschen Territoriums und durch die erwähnte Unterlassung des Rückrufs aus Awacs und von Fuchs dem Aggressor Hilfe und Beistand geleistet. Deutschland trägt somit die volle völkerrechtliche Verantwortlichkeit für sein Verhalten.

 

Nach der Aggressionsdefinition von 1974 ist dieses Verhalten sogar als eine Angriffshandlung zu bewerten. In Art. 3 lit. f ist festgelegt, dass als Aggressionshandlung auch gilt “die Handlung eines Staates, die in der Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen“. Ich lasse dahingestellt, ob diese Bestimmung allgemein anerkanntes Völkerrecht beinhaltet. Auf jeden Fall ist ein Staat verpflichtet zu verhindern, dass sein Territorium von einem anderen Staat zur Vorbereitung und Durchführung von Aggressionshandlungen gegen einen dritten Staat genutzt wird. Das gilt auch für Deutschland. Der Rückruf aus Awacs und von Fuchs war völkerrechtlich geboten, weil die Gefahr bestand, direkt in den völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg auf der Seite des Aggressors verwickelt zu werden.  

 

Hinzu kommen eine spezielle völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands und verfassungsrechtliche Grenzen. In Art. 2 des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland bestätigt Deutschland die Verpflichtung, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“. Damit ist unvereinbar, deutschen Boden für die Vorbereitung und Durchführung von Kriegshandlungen der USA gegen einen anderen Staat zur Verfügung zu stellen.

 

Die verfassungsrechtlichen Grenzen setzen die Artikel 25 und 26 des Grundgesetzes. Art. 25 erklärt die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Bestandteil des Bundesrechts. Zu diesen allgemeinen Regeln gehören das völkerrechtliche Gewaltverbot und die anderen Prinzipien des Völkerrechts. Sie müssen auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geachtet werden. Die mittelbare Unterstützung des Krieges durch Deutschland ist eine Missachtung dieses Verfassungsgebots. Art. 26 Abs. 1 bestimmt: „ Handlungen die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“  Zu diesen Handlungen  gehören die Hilfe für die Aggression der USA  durch Deutschland. Das Verhalten der Bundesrepublik hat die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen weit überschritten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht gilt ohnehin Art. 80a Abs. 2, der den Einsatz der Bundeswehr nur zur Verteidigung zulässt.

 

 

 

 

 

Drittens unter dem Gesichtspunkt der Bündnisverpflichtungen

 

Es gibt überhaupt keine völkerrechtlichen Bündnisverpflichtungen, die einer Untersagung der Nutzung deutschen Territoriums für den Irak-Krieg und einem Ausstieg aus Awacs und Fuchs entgegen stehen würden. In Frage kommen der NATO-Vertrag vom 4. 4. 1949[13] und das NATO-Truppenstatut.

 

 

a) NATO-Vertrag

 

Der NATO-Vertrag enthält keine Bestimmung, aus der abgeleitet werden könnte, dass Deutschland zu dem oben genannten Verhalten verpflichtet ist. Bündnisverpflichtungen konnten schon deshalb nicht ausgelöst werden, weil der Krieg gegen den Irak mit dem NATO-Vertrag nicht vereinbar ist. Der Vertrag enthält in Art. 1 die Verpflichtung der NATO-Mitglieder, „in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist.“ Die NATO übernimmt damit für ihre Mitglieder Verpflichtungen aus der UNO-Charta.

 

Die Anwendung von Waffengewalt ist nach Art. 5 nur zum Zweck der kollektiven Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff möglich. Nur „im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs“ besteht eine Pflicht, dem Angegriffenen Beistand zu leisten, wobei jeder Staat selbst über die Art dieses Beistands entscheidet. Die Bundesregierung hätte also die Beteiligung an Awacs-Flügen in der Türkei ablehnen können ohne Bündnisverpflichtungen zu verletzen. Beim Art. 5 handelt es sich um eine Ausführungsbestimmung zum Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta. Ein solcher Fall der Selbstverteidigung ist – wie unter Zweitens ausgeführt – im Falle des Irak nicht gegeben. Die in Art. 3 des NATO-Vertrags festgelegte „gegenseitige Unterstützung“ bezieht sich auf Erhaltung und Fortentwicklung „der gemeinsamen Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe“, nicht auf völkerrechtswidrige Aggressionskriege.

 

Im Übrigen war der Krieg gar keine Aktion der NATO sondern die einer ad hoc geschaffenen Koalition der USA mit den „Kriegswilligen“ nach den Regeln und unter dem Oberkommando der USA und nicht der NATO.  Es ist nicht nachvollziehbar, dass der NATO-Vertrag Deutschland zur Duldung der Bewegungsfreiheit der US-Streitkräfte auf deutschem Territorium für Aktionen verpflichten soll, die sich gar nicht im Rahmen der NATO vollziehen.

 

 

b) NATO-Truppenstatut[14]

 

Schon aus dem letztgenannten Grund ist das NATO-Truppenstatut vom 19. 6. 1951

 und das Zusatzabkommen vom 3. 8. 1959 in der Fassung vom 18. 3. 1993[15] für Aktionen der US-Streitkräfte in Deutschland nicht maßgeblich. Es handelt sich bei diesen Abkommen nicht um voraussetzungslose Vereinbarungen, sondern um Folgeabkommen zum NATO-Vertrag. Sie regeln die Rechte und Pflichten der NATO-Truppen im Rahmen des NATO-Vertrags, nicht aber Aktivitäten der US-Streitkräfte in Deutschland außerhalb dieses Rahmens. Diese Vereinbarungen beschränken das Recht Deutschlands nicht, über die Nutzung des deutschen Territoriums durch fremde Streitkräfte zu militärischen Aktionen in dritten oder gegen dritte Staaten zu entscheiden.

 

Das Zusatzabkommen wurde nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschland sowie in Anbetracht der Bestimmungen des Einigungsvertrags vom 31. 8. 1990[16] und des 2+4-Vertrags überprüft und 1993 geändert. Die Bundesregierung betonte in ihrer Denkschrift zu dieser Vertragsänderung als „grundlegende Verbesserung“ die nunmehrige „Zustimmungsbedürftigkeit aller Land- und Luftübungen der Entsendestaaaten außerhalb der Liegenschaften, die ihren Streitkräften zur ausschließlichen Benutzung überlassen sind“[17]. Zur Neufassung des Art. 45 des Zusatzabkommens wird festgestellt, dass es „künftig von der Zustimmung deutscher Behörden ab[hängt], unter welchen Bedingungen ein Entsendestaat Manöver oder andere Übungen außerhalb der ihm zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften durchführen darf“.[18] Gleiches gilt nach der Neufassung von Art. 46 für Übungen und Manöver im Luftraum. Sie unterliegen der Zustimmung deutscher militärischer Behörden. Wenn schon Manöver und Übungen zustimmungspflichtig sind, dann umso mehr Truppenbewegungen zur Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlag gegen einen dritten Staat. Eine Zustimmung kann dann aber auch Kraft der Souveränität Deutschlands verweigert und muss verweigert werden, wenn dies völkerrechtlich geboten ist.

 

In den Liegenschaften und im Luftraum darüber sind nach dem Truppenstatut und dem Zusatzabkommen nur Maßnahmen erlaubt, die der Verteidigung dienen. Das Änderungsabkommen zum Zusatzabkommen bestimmt: „Für die Benutzung solcher Liegenschaften gilt das deutsche Recht...“. Sodann werden Ausnahmen festgelegt, die im gegebenen Fall nicht zutreffen. Zu den wesentlichsten Bestimmungen des deutschen Rechts, die auch in den Liegenschaften der USA gelten müssen, gehören die Verfassungswidrigkeit der Vorbereitung eines Angriffskriegs nach Art. 26 GG. Daraus ist ein Verbot der Nutzung von Liegenschaften der USA für die Vorbereitung und Durchführung eines völkerrechtswidrigen Militärschlags gegen den Irak abzuleiten.

 

Im geänderten Art. 57 des Zusatzabkommens werden den Stationierungstruppen Rechte zur „Einreise mit Land-, Wasser und Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik und zur Bewegung im Bundesgebiet“ nur „vorbehaltlich der Genehmigung der Bundesregierung“ zugestanden. Es heißt dann weiter: „Transporte und andere Bewegungen im Rahmen deutscher Rechtsvorschriften einschließlich dieses Abkommens und anderer internationalen Übereinkünfte ... gelten als genehmigt“. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass auch Aktionen zur Vorbereitung eines Militärschlags gegen den Irak keiner speziellen Genehmigung bedürfen, sondern pauschal als genehmigt gelten. Es kann sich bei den als genehmigt geltenden Bewegungen nur um landläufige Routine-Vorgänge handeln, nicht aber um so schwerwiegende Aktionen, wie die Vorbereitung und Durchführung von Militärschlägen gegen andere Staaten.

 

Das Truppenstatut und das Zusatzabkommen können also nicht zur Begründung einer völkerrechtlichen Bündnispflicht Deutschlands herangezogen werden, die Nutzung des deutschen Bodens und Luftraums und der Militärstützpunkte der USA in Deutschland zur Vorbereitung und Durchführung des Krieges gegen den Irak zu dulden. Diese Verträge berühren das Recht der Bundesregierung nicht, die Nutzung seiner Flugplätze, seines Luftraums und der den USA zur Verfügung gestellten Militärstützpunkte für den Krieg gegen den Irak zu untersagen. Die Verwendung deutschen Territoriums durch die USA lag und liegt in der Entscheidungskompetenz Deutschlands.

 

 

Deutschland und die Irak-Resolutionen des Sicherheitsrats

 

Der Sicherheitsrat hat seit dem von Bush verkündeten Ende der hauptsächlichen Kampfhandlungen fünf Resolutionen zum Irak verabschiedet[19]. Für das Thema meiner Stellungnahme ist folgender Aspekte von Belang: Mit diesen Resolutionen wird der Aggressionskrieg nicht im entferntesten kritisiert oder verurteilt. Sein Ergebnis, nämlich die Besetzung des Irak, wird anerkannt, jedenfalls nicht in Frage gestellt. Mit der Resolution 1483 22. 5. 2003 wurden die Besatzer als „authority“ akzeptiert, ohne deren Rückzug zu fordern. Die jüngste Resolution 1546 vom 8. 6. 2004 sanktioniert die Besetzung Iraks durch die Aggressortruppen unter der irreführenden Bezeichnung „multinational forces“. Die Behauptung in Ziffer 2, am 30. Juni 2004 werde die Besetzung enden und der Irak volle Souveränität erhalten, ist falsch und wird von anderen Punkten der Resolution widerlegt. Die Besatzungstruppen werden über den 30. Juni hinaus auf unbestimmte Zeit im Irak bleiben und zwar unter US-Oberkommando. In Fragen der „Sicherheit und Stabilität“ behalten sie die Regierungsgewalt. Das Verhältnis zur irakischen Regierung in diesen Fragen wird auf „Partnerschaft“, „Koordinierung“ und „Konsultation“ reduziert. Die „multinational forces“ erhalten durch die Resolution Aufgaben und Befugnisse, die der Sicherheitsrat einem Aggressor nicht zuweisen darf ohne den Grundsatz der Nichtanerkennung einer militärischen Besetzung im Ergebnis eines Aggressionskrieges zu verletzen. Dass die von den USA abhängige provisorische Regierung des Irak die Fortdauer der Besetzung wünscht, kann der Besetzung und dem Handeln der Besatzer keine Legalität verleihen. Es handelt sich um eine völkerrechtswidrige Intervention auf Einladung. 

 

Deutschland hat den Resolutionen zugestimmt. Die Bundesregierung hat damit ihre ablehnende Haltung zum Krieg gegen den Irakweitgehend konterkariert und diskreditiert.        

 

 

Prof. Dr. sc. jur. Gregor Schirmer15. 6. 2004

[1] Die Stellungnahme beruht auf meinem Aufsatz „Deutschland – ein Aufmarschgebiet der USA im Krieg gegen den Irak?“ in: Dieter S. Lutz/Hans J. Gießmann, Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, Demokratie, Sicherheit, Frieden Band 156, S. 204. Vgl. auch Dieter Deiseroth, Verstrickung in einen Angriffskrieg, ebenda S. 160

[2] A/Res/3314 (XXIX) vom 14. 12. 1974

[3] A/Res/2625 (XXV) vom 24. 10. 1970

[4] BGBl. 2000 II S. 1394

[5] Diese Draft articles wurden nach mehrjähriger Diskussion von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen verabschiedet. Die Generalversammlung hat sie mit A/Res/56/83 vom 12. 12. 2001 zur Kenntnis genommen. Sie drücken  die Rechtsüberzeugung vieler Staaten aus.

[6] Die Rechtslage ist so eindeutig, dass die Behauptung des Generalbundesanwalts in der Begründung der Ablehnung der Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen den Bundeskanzler und andere wie eine faule Ausrede klingt: „Das Völkerrecht ist – jedenfalls derzeit – kein allgemein anerkannter und auch nur einigermaßen ausdifferenzierter Begriff der völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggression zu entnehmen“. Der Krieg gegen den Irak kann gar nicht anders eingestuft werden, denn als völkerrechtswidrige Aggression, es sei denn man folgt Bushs Konzept einer präemptiven Selbstverteidigung. Die Entschließung des Generalbundesanwalts ist abgedruckt in: Kai Ambos/Jörg Arnold, Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, Juristische Zeitgeschichte Abteilung 5, Band 14, Berlin 2004, S. 173, Zitat S. 177.

[7] Siehe Völkerrechtliche Verträge, Beck-Texte im dtv, 9. Auflage 2002, S. 607

[8] BGBl. 1990 II S. 1318

[9] Rüdiger Wolfrum „Luftraum“, in: Ignaz Seidl-Hohenfeldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts, Völkerrecht 1992, S. 201

[10] BGBl. 1956 II S. 411

[11] BGBl. 1985 II S. 927

[12] Vgl. Fn. 5

[13] BGBl. 1963 II S. 707

[14] Vgl. hierzu auch die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags zum Thema „Überflugsrechte und Nutzungsrechte der USA an ihren Militärbasen in der Bundesrepublik Deutschland im Falle eines Angriffs gegen den Irak“, Reg.-Nr. WF II – 132/02, abgedruckt in: Kai Ambos/Jörg Arnold, Fn. 6, S. 122 

[15] BGBl. 1961 II S. 1183 und BGBl. 1994 II S. 2594

[16] BGBl. 1990 II S.889

[17] Deutscher Bundestag, Drucksache 12/6477, S. 59

[18] Ebenda, S. 66

[19] S/Res/1483 vom 22. 5. 2003, S/Res/1500 vom 14. 8. 2003, S/Res./1511 vom 16. 10. 2003, S/Res./1546 vom 8. 6. 2004