Einleitung Panel I
Sanktionen, Besatzung, Krieg  – eine Bilanz von zwei Jahrzehnten westlicher Irakpolitik

Joachim Guilliard
Mitherausgeber bzw. Ko-Autor mehrerer Bücher sowie Verfasser zahlreicher Artikel zum Irak

Hans v. Sponeck kann leider wegen eines schwerwiegenden familiären Problems heute nicht hier sein.

Es tut ihm sehr leid, dass nun ausgerechnet er ausfallen muss, wo er für zwei wichtige Themen sprechen sollte, Themen die ihm auch sehr am Herzen liegen und nachdem er sich auch aktiv sehr an der Vorbereitung beteiligt hatte:  einige irakische Referenten sind gute Bekannte, Freunde von ihm und er bedauert es sehr, sie nicht hier in Berlin begrüßen zu können.

Ich habe nun die Aufgabe, die Einleitung zum Thema Irak zu übernehmen.

Ich kann selbstverständlich Hans v. Sponeck nicht ersetzen. Er hat mir aber ausdrücklich ans Herz gelegt, zu Beginn der Konferenz zu betonen, dass der Irakkonflikt nicht mit dem Krieg 2003 begann.

In der Tat kann man die Situation, in der sich der Irak heute befindet, nicht verstehen, wenn man die lange Vorgeschichte nicht berücksichtigt. Der Irak wurde bekanntlich bereits 1991 durch den ersten Krieg einer US-geführten Allianz stark zerstört und 13 lange Jahre lasteten die schwersten Sanktionen auf dem Irak, denen je eine Bevölkerung ausgesetzt war.

Es war ein mörderisches Embargo, dessen Auswirkungen auf die Bevölkerung auch durch das Öl-für-Nahrungsprogramm nur unzureichend gelindert werden konnte. Die Unzulänglichkeit und vor allem der Umgang mit diesem humanitären Problem in der UNO und den maßgeblichen Hauptstädten war ja auch der Grund warum, H. v. Sponeck 2000 von seinem Posten zurücktrat und sich von da an – zusammen mit seinem gleichfalls zurückgetretenen Vorgänger Dennis Halliday – gegen die Sanktionen engagierte.
In dieser Zeit habe ich ihn auch kennengelernt und zusammen mit ihm entstand eine dt. Initiative gegen das Embargo.

Es war ein Embargo, das sich auf eine gewisse Weise verselbständigt hatte. Ursprünglich war es 1990 verhängt worden, um den Irak zum Rückzug aus Kuwait zu zwingen. In der Sache war dies sicherlich gerechtfertigt. Es wurde allerdings nicht abgewartet, ob es in dieser Hinsicht Wirkung zeigt. Diplomatie hatte schon damals kaum eine Chance. Wie wir heute wissen, setzten die USA auch damals von Anfang an auf Krieg.

Irak war regional zu mächtig geworden – die USA, Deutschlands und andere westlicher Staaten hatten in gegen den Iran massiv aufgerüstet.
Er war militärisch zu stark und zu selbständig, als dass man ihn – unter einer gewissen Gesichtswahrung – unbeschadet davon kommen lassen wollte. Die USA und ihre engeren Verbündeten wollten die Gunst der Stunde nutzen, den Irak durch einen Krieg gründlich „abzurüsten“. Und sie wollten dafür sorgen, dass er auch danach nicht wieder erstarken kann.

Auch nachdem sich der Irak zurückgezogen und alle Bedingungen des SR akzeptiert hatte, blieben die Sanktionen daher bestehen – nun bis der Irak zweifelsfrei alle MVW und alle Programme zur Herstellung aufgegeben habe.

Hierin lag der entscheidende Konstruktionsfehler. Die Sanktionen mussten nicht etwa, wie allg. üblich regelmäßig überprüft und dann mehrheitlich verlängert werden. Sie konnten nur durch einen erneuten Beschluss des UN-SR aufgehoben werden.

Damit hatten es die USA und GB in der Hand, das Embargo beliebig lange auszudehnen – auch nachdem der Irak nach Ansicht der meisten Waffeninspektoren weitgehend abgerüstet war. Verlangt wurde schließlich vom Irak der eindeutige Beweis keine MVW zu haben, einen Beweis der nie zu 100% zu erbringen ist. Keine UN-Inspektion kann einen solchen Beweis erbringen und kein Inspekteur wird einem Staat eine solche Bestätigung geben. Ein Problem, übrigens, das sich im Konflikt mit dem Iran gerade wiederholt. „Die Abwesenheit eines Beweises für die Existenz von MVW ist nicht der Beweis ihrer Abwesenheit“, hatte US-Verteidigungsminister Rumsfeld im Sommer 2002 scharfsinnig argumentiert. Doch der, der mit Gewalt droht muss stichhaltige Beweise für seine Vorwürfe vorbringen und nicht umgekehrt. Mit der impliziten Beweislastumkehr, die da gefordert wurde, begannen die USA den Konflikt sukzessive zu eskalieren.

Tatsächlich ging es schon lange nicht mehr um MVW. Es war jedem klar, dass der Irak keine Bedrohung für irgendjemand mehr war. Es ging darum, einen Regierungswechsel im Irak zu erzwingen. Ganz offensichtlich wurde dazu die gesamte Bevölkerung zur Geisel genommen.

Das war auch am Charakter des Embargos zu erkennen, das viel mehr schon an die Belagerung einer mittelalterlichen Stadt erinnerte. Schließlich war die Blockade des Landes auch verbunden mit militärischen Angriffen der USA und GB. Fast wöchentlich gab es Luftangriffe in den sog. Flugverbotszonen im Norden und Süden des Landes die eigenmächtig von den beiden Staaten verhängt worden waren – sie erstreckten sich über nahezu die Hälfte des Territoriums. Die Angriffe galten im Wesentlichen der irakischen Luftabwehr und wurden von einer Reihe von Militärstrategen damals schon angesehen als eine Vorbereitung des kommenden Krieges. Getroffen wurden aber immer wieder auch Zivilisten.

Als Hans v. Sponeck übrigens eine Dokumentation der zivilen Opfer dieser Angriffe erstellte und dem SR zukommen lassen wollte, kam es zum ersten heftigen Konflikt mit ihm und der US-Administration. Er solle sich gefälligst auf seine unmittelbaren Aufgaben konzentrieren, hieß es aus Washington bzw. aus der UNO-Zentrale in New York.
Diese Dokumentation der UN-Mission vor Ort fand sowenig den Weg in den Sicherheitsrat, wie viele andere, die Hans v. Sponeck und seine Kollegen über die humanitäre Notlage oder die Probleme mit dem Sanktionsregime, das die Einfuhr lebensnotwendiger Güter massiv behinderten. Er bekam nie Gelegenheit dem UN-Sicherheitsrat direkt Bericht zu erstatten. "Dieser Mann in Bagdad wird bezahlt, um zu arbeiten und nicht um zu sprechen", so der damalige Sprecher des State Departments, James Rubin.

Wir haben es daher nicht nur mit der US-Politik zu. Hier hat auch, wie Hans v. Sponeck in seinem Buch „Ein anderer Krieg – Das Sanktionsregime der UNO im Irak“ (Oktober 2005) ausführlich darlegt, die UNO versagt. Doch wer ist die UNO? Ihr Handlungsspielraum wird bestimmt von den mächtigen Staaten in der Welt. Maßgebliche Verantwortung tragen daher auch diese, Staaten wie Deutschland, Frankreich sowie die gesamte EU. Weder sie noch die UNO haben ernsthafte Anstrengungen unternommen, das vollständige Ausmaß der Auswirkungen der Sanktionen zu erkennen und sie mit entsprechender Dringlichkeit auf die Tagesordnung zu setzen.

Völkerrechtsexperten hatten früh darauf hingewiesen, dass derart umfassende Sanktionen mit internationalem Recht nicht vereinbar sind. Da das Recht auf Leben, das Recht auf angemessene Ernährung und Gesundheitsversorgung grundlegende und unveräußerlich Rechte sind, stellen sie eine schwere Menschenrechtsverletzung dar.
Solch umfassende Sanktionen sind zudem eine Form kollektiver Bestrafung, die in völligem Gegensatz zu den Grundprinzipien des Rechts steht. Die Genfer Konventionen verbieten strikt Hunger als Druckmittel gegen eine Regierung einzusetzen.

Im Großen und Ganzen waren die Folgen des Embargos ja spätestens seit Ende der 90er bekannt. UNICEF hatte im April 1998 die Ergebnisse einer Studie vorgelegt, wonach die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, jährlich um mehr als 40.000 im Vergleich zu 1989 zugenommen hatte. Die der übrigen Bevölkerung nahem um mindestens 50.000 zu.

Man musste also schon damals davon ausgehen, dass 700.000 bis 1 Mio. Iraker an den Folgen der Sanktionen gestorben waren.

Die damalige US-Regierung hat dies auch nie ernsthaft bestritten. Ich erinnere nur an die Antwortder damaligen amerikanischen Botschafterin bei der UNO und spätere Außenministerin, Madeleine Albright, die im Jahr 1996 in einer beliebten Fernsehsendung folgendes gefragt worden war: "Wir haben gehört, dass eine halbe Million Kindern starben. Ich denke, das ist mehr als in Hiroshima ums Leben kamen. Und Sie, denken, sie dieser Preis ist es wert?“ Es sei eine sehr schwere Entscheidung, gab sie zur Antwort, aber „wir sind der Meinung, dass es den Preis wert ist.“

Der Krieg traf 2003 – anders als 1991 – somit eine ohnehin schon völlig geschwächte Gesellschaft. Die meisten Familien hatten schon lange nicht die geringsten Reserven mehr.
13 Jahre Sanktionen, die internationale Isolation etc. hatten natürlich schwerwiegende soziale Auswirkungen. Eine ganze Generation wuchs ohne vernünftige Ausbildungsmöglichkeiten heran, in ständiger materieller Not. Ich denke es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie sich das auf die Gesellschaft, wie sich das auf die Jugend auswirkt -> psychische Probleme, Kriminalität, Gewaltbereitschaft, etc. ....

All dies wurde mit dem Krieg und der Besatzung nun noch mal extrem verschärft. Daraufhin werden meine Nachredner in diesem Panel ausführlich eingehen.

Für jeden, der die Irakpolitik der USA, des Westen dieser Zeit beobachtet hat, war daher auch von Anfang an klar, dass es beim neuen Krieg nicht um MVW gehen kann und noch weniger um die Belange der Iraker.

Die ersten Wochen nach dem Sieg haben auch dies noch einmal eindrucksvoll bestätigt.

Ich erinnere an die Bilder von den Plünderungen in Bagdad und den anderen großen Städten, wo US-Truppen mit ihren Panzern daneben standen und nicht eingeschritten. Das einzige was sie tatsächlich schützten war das Ölministerium und die Ölanlagen, alles andere haben sie praktisch zur Plünderung freigegeben. Es gibt glaubwürdige Berichte darüber, dass sie zum Teil sogar die Plünderer regelrecht aufgefordert haben, sich doch zu bedienen.. Fast alle anderen Ministerien und ein Großteil der öffentlichen Einrichtungen wurden in den ersten Wochen der Besatzung geplündert und ausgebrannt. Unschätzbare Kulturgüter gingen verloren, wurden geraubt und ins Ausland geschafft oder gar zerstört. Einfach weil die Museen und die Bibliotheken usw. trotz vielfacher Warnungen nicht geschützt worden waren.

Es folgten weitere Maßnahmen, die zeigten, wie die US-Admin.  ohne jede Rücksicht auf die Belange der irakischen Bevölkerung ihre Ziele verfolgten. So die komplette Auflösung von Polizei und Armee – ohne jeden Ersatz. Es war klar, dass damit Sicherheit und Ordnung zusammenbrechen und die Bevölkerung schutzlos krimineller Gewalt ausgesetzt sein würde. Hiermit wurde ein wesentlicher Grundstein für die heute herrschende Gewalt gelegt. Diese Politik machte auch deutlich, dass es nicht einfach um die Absetzung der alten Regierung ging, sondern um die vollständige Zerschlagung des alten Staates und damit die vollständige Ausschaltung des Landes als Regionalmacht. Und es sollte, zumindest nach den damals tonangebenden Neokonservativen in Washington, eben kein stabiler zentral regierter irakischer Staat mehr entstehen, der mittelfristig womöglich wieder eine eigenständige Politik verfolgen könnte.

Die britische Regierung und wohl auch das State Department hatten andere Vorstellungen gehabt. Sie wollten rasch wieder stabile Verhältnisse im eroberten Land herstellen und wollten daher nur die Führungsspitzen austauschen. Wie der damalige britische Innenminister David Blunkett später enthüllte, setzten sich jedoch Vizepräsident Dick Cheney und Pentagonchef Donald Rumsfeld, mit ihren Vorstellungen durch: „Wir zerstörten schließlich die Struktur eines funktionierenden Staates“ so die späte öffentliche Kritik des Briten.

Die Folgen und wie der Irak aus dieser Situation wieder herauskommen kann, wird Thema der heutigen Konferenz sein.

Ich hoffe, ich wurde Hans v. Sponecks Wunsch ein wenig gerecht und konnte andeuten, dass diese Zerstörung schon früher ansetzte und es daher sehr, sehr intensiver Anstrengungen bedarf, diese wieder rückgängig machen, bzw. die Wunden zu heilen. Und andeuten, dass der Irak dafür massive Hilfe braucht. Hier sind vor allem die gefordert, die Mitverantwortung tragen. Dazu zählt – neben den Aggressoren selbst – nicht zuletzt auch Deutschland. Hier sind also auch wir gefordert, dieses durchzusetzen.